Jetzt sitze ich hier mit dem Gefühl der leichten Ziellosigkeit wie nach jeder Langdistanz. Nur dass ich diesmal über 10 Jahre darauf hingefiebert hatte und nicht 8 Monate. Aber auch irgendwie ein gutes Gefühl. 

Der Reihe nach. 

Ich kann nicht mehr ganz genau sagen, seit wann der Norseman auf der Bucketlist stand, aber 2013 hatte ich mich das erste mal um einen Startplatz bemüht. Eigentlich eh ne gute Sache, das Los kostet nen 10er und davon gehen 8 an Ärzte ohne Grenzen. Dazu erhöht jeder Fehlversuch die Chancen fürs Folgejahr. Worst Case also: man hat x mal 8 Euro für was Gutes gespendet.

Renntag/Vorgeplänkel:

Ich konnte vorher tatsächlich schlafen und wurde durch den Wecker 2.00 Uhr geweckt. Es war fast alles am Vorabend gemacht, so dass ich mir nur zwei Marmeladenbrötchen reinzwingen und mich dann in den Anzug werfen musste. 2.30 Uhr Abfahrt nach Eidfjord mit Chefsupporter Pete am Steuer. Wer mich kennt, weiß dass ich superpünktlich vor Ort sein will und es mich nervt, wenn das nicht klappt. Pete weiß es jetzt auch. 

Dort großes Gewusel, denn die Uhr tickt. Wenn es heißt, dass die Fähre 4 Uhr ablegt, dann legt sie 4:00 Uhr ab. War aber alles bestens, Rad eingecheckt, Wechselplatz eingerichtet, Neo noch nicht angezogen. Wozu frieren, wenn ich dann 40min Zeit hab, mich auf dem Schiff umzuziehen. Drinnen kurzes Schwätzchen mit Sebastian Kienle über das Abenteuer Papa zu sein, dann ein ruhiges Plätzchen suchen, umziehen, Gel essen. Dann Klamottenbeutel abgeben, mit kaltem Fjordwasser absprühen lassen (Das ist übrigens keine Option sondern Pflicht, haben wir bei der Wettkampfbesprechung gelernt. Der Kältereiz ist quasi das Signal an den Körper, hier jetzt mal paar Sachen zu machen, dass er mit der Kälte klarkommt.) Das ist dann ziemlich nützlich, denn direkt danach gehts per Sprung in den Fjord. Brille fast verloren, dafür fühlt sichs eigentlich ganz angenehm an. Ich hatte mich für Neoprenkappe und -socken, aber gegen Handschuhe entschieden. Im Nachhinein hätte ich auch an den Füßen nichts gebraucht. 

Schwimmen:

Hürde eins: rechtzeitig zum Start kommen. Der ist nämlich ca. 200m von der Fähre weg. Also Brille richten und da hinschwimmen. 

Angekommen, kurz umgeschaut, dann tönt das Horn der Fähre. 5 Uhr Start bedeutet 5.00 Uhr Start. Wer nicht am Start ist, hat Pech, die Uhr tickt trotzdem und die schwimmen dann eher 4 km als 3,8. Das waren auch einige.

Schwimmen rein technisch unspektakulär. Eine Boje, die durch ein Feuer am Ufer auch gut zu sehen ist. Da 90 Grad nach links, möglichst nicht gegen das Pier schwimmen und ab zum Ausstieg. 

Der nicht technische Teil ist allerdings sehr spektakulär. 700m glasklares Wasser unter einem, bei jedem Atemzug den steilen Fjord, andere Starter, die Fähre, Kajaks oder alles davon im Blick. Es wird auch immer heller und nachdem man sehr nah am Ufer schwimmt, kann man auch unter Wasser ab und zu Felsformationen sehen sehen. Das ist dann auch der Hinweis vielleicht bissle weiter links zu schwimmen. Wir hatten die Ebbe gegen uns, daher waren die Zeiten etwas langsamer als normal. Aber die Ebbe war für alle gleich und außerdem eh wurscht ob das jetzt 10min länger dauert. Ich bin nach 1:17 aus dem Wasser. Die Helfer waren sofort zur Stelle, unterstützen wo sie können. Beim Eingang in die Wechselzone schaut einer meine Nummer auf dem Handrücken an und schreit „twohundredfifty“. Das wird dann an die Supporter weitergegeben, damit einer rein darf, um seinen Sportler zu unterstützen. Uncool nur, dass auf meinem Handrücken 270 zu lesen ist.

T1: 

“Pete.” Keiner da als ich am Platz ankomme, fang ich halt mal alleine an. Neo und Co. aus, grob abtrocknen, alles in die Plastiktüte stopfen. “Pete!” Nochmal gerufen. Keiner da. Helm auf, Schuhe an, Nummer dran. “PETE!” Zefix… Lampen eingeschaltet, Rad in die Hand. Peter ist da. Dem den Wechselbeutel in die Hand gedrückt, gesagt, dass alles im Lack ist und ab. Abends dann erfahren, dass sie ihn ewig nicht reingelassen haben und er dann erst mehr oder weniger durchbrechen musste. Aber egal, passiert und hat auch keine Nachteile gebracht.

Rad: 

Laut Wetterprognose bleibt es bis Mittag trocken bei 14 Grad, auf der Hardangervidda (Hochebene über die sich der Hauptteil der Radstecke zieht und die alleine schon ein Grund ist, mal nach Norwegen zu fahren) gehts runter auf 3 Grad. Ab Mittag dann immer mal wieder Regen. Und so kam das auch. Es geht erstmal ein paar Kilometer flach bzw. leicht ansteigend dahin. Einen überholt, einmal überholt worden. Dann gehts 1000hm am Stück hoch. Das bin ich stumpf nach Watt gefahren. Und zwar mit viel Reserve, da oberste Prio. war, das Ganze hier nicht durch Dummheiten und vermeidbare Fehler zu verkacken. Es hat 10 Jahre gedauert, da an die Startlinie zu kommen, da riskier ich das Ziel nicht, um einmal am Anstieg zu zeigen, wer hier Pogi für Arme ist. Fehlervermeidungssport und so 🙂 

Auf der Strecke ist nichts gesperrt und es ist für die Supporter nicht einfach, zur richtigen Zeit an die richtige Stelle zu kommen. In den ersten 90min Rad, hatte ich zum Beispiel keinen Support. Weil das aber nicht überraschend kommt, hatte ich zwei Reservegels dabei und auch genutzt. Beim ersten Stopp aber gemerkt, dass die Idee, die Radflaschen schon am Abend vorher zu mischen und ans Rad zu machen, eher schlecht war. Das gute Race Carb-X hatte sich unten gesammelt und ich hatte bis dahin hauptsächlich Wasser und eben die zwei Gels zu mir genommen. Körperlich auch nicht wirklich gut gefühlt an der Stelle, aber von nem Einbuch oder wirklichen Problemen noch weit weg. Erstmal gegengesteuert, ordentlich verpflegt und gehofft, dass mir das später nicht auf die Füße fällt. 

Die Radstecke ist hart, aber auch wunderschön und weil man das nicht ‘mit dem Messer zwischen den Zähnen’ fährt (also ich zumindest), hat man da auch einen Blick dafür. Insgesamt sind es 2 lange und drei kürzere Anstiege, die bis auf wenige Stellen, an denen es mal über 10% rauf geht, auch ganz gut rollen. Streckenkenntnis war vorhanden, mit dem Support hat dann auch alles super funktioniert, energetisch auch wieder alles im Lot. Es könnte alles so schön sein. Naja, vorletzte Abfahrt und es tröpfelt. Im Tal und es regnet. Und kühlt ab. Dann der letzte Anstieg hoch nach Iming. Bergauf schon  langsam frisch, oben dann strammer Gegenwind und ‘ergiebiger’ Regen. Letzter Supportstopp auf dem Rad bei Kilometer 150 (danach ist kein Support mehr erlaubt, weil dann nur noch kurvige Abfahrt kommt und das macht stehende Autos an der Strecke zu unnötigen Hindernissen). Regenjacke an, Regenhose hatte ich schon ne Weile an, dünne Handschuhe und fürs Gefühl mal Schuhe gewechselt. Ich wollte zumindest mal kurz trockene und warme Füße haben. Kurz = 3 Minuten. 

Gefühlt hab ich mich sehr gut. Die erste Kurve noch zurückhaltend, erstmal schauen wie gut die Carbonbremsflanke im Regen mitmacht. Macht sie super. Also kontrolliert krachen lassen und so 10 Mann in der Abfahrt kassiert. Netto, denn paar sind auch an mir vorbei. Mit 63kg ist die Hangabtriebskraft nicht dein allerbester Freund. Zwei Kilometer flach und zack Wechselzone. 

T2:

Deja vu. Keiner von meinen Jungs da. Deja rien vu quasi.

Rad abgestellt und schon mal Schuhe ausgezogen. Dann kamen Pete und Holzi angerannt. Haben mich umsorgt wie zwei liebende Mütter, kurzer gut gelaunter Schnack mit der Crew im Regen und ab. 

Laufen bis Rjukan: 

Auch hier ist Streckenkenntnis extrem hilfreich. Das Höhenprofil sagt 25km flach und dann ne Wand hoch. Also stellt man das Hirn auf einen 25km Lauf  mit Reserve lassen ein. Alles danach ist eh nicht kalkulierbar und wird dann eben wie es wird. 

Wars auf dem Rad schwer für Supporter im Gewimmel voranzukommen, ist es auf der Laufstrecke noch deutlich übler. Hat jedenfalls bis km 14 gedauert, neue Gels und Wasser zu kriegen. Meine Gedankenwelt zwischen km 8 und 14: Immer noch keiner da. Toll. Die Pfeiffen haben das Auto in den Graben gesetzt. Wie komm ich jetzt an was zu essen? Und wer begleitet mich dann auf den Gipfel? Wie kommen wie morgen eigentlich heim? Soll ich mal anderer Leute Supportcrews anschnorren oder ausrauben? 

Kurz bevor es kriminell wurde, waren sie aber da und ab dann hat auch wieder alles wie am Schnürchen geklappt. Beine gut, Laune auch, Regen, aber es war nicht kalt und ich habe viel überholt. Irgendwann leicht krampfiger Magen und mal eine Stunde oder so nur auf Wasser gesetzt. Dadurch ein paar Kilometer mit immer mal paar Sekunden gehen dabei, aber das wurde auch wieder besser und ich konnte wieder essen. 

Unterwegs zwei mal richtig lauten Donner gehört und da hatte ich den Cheforganisator im Ohr wie er auf der Wettkampfbesprechung sagt: Wir haben nur vor einer Sache Angst am Berg: Gewitter. Dann machen wir den Gipfel (also die letzten 4,5km rauf auf den Gaustatoppen) dicht und laufen ins ‘flache’ Ziel. Und wenn der Gipfel mal zu ist, bleibt er zu. Ab da schon im Hinterkopf gehabt, dass es so kommen könnte. Spoiler: Kam es auch, hat mich dann aber weder geärgert noch belastet. Hab auch keinen Bock, auf nem baumlosen Berg zu stehen wenn die Blitze zucken. Außerdem war ich wandernd schon mal oben.

Laufen ab Rjukan.

Zombie-Hill. Ab hier darf ein Supporter mitlaufen. Der Name ist Programm. 7km mit durchgehend 9-10% Steigung. Die Rechnung war simpel: Rennen bedeutet 8min auf den Kilometer, zügig gehen 9min. Also die Wanderskills ausgepackt und los. Der Unterschied zwischen gehen und zügig gehen ist übrigens auch noch deutlich. Pete und ich konnten einige hinter uns lassen und wurden nur von drei anderen selbst überholt. Einer, ders einfach drauf hatte, eine, die mit kleinen Schritten aber wie ein Uhrwerk da hochgenagelt ist (Chapeau!) und ein älterer Mann, der noch nen krasseren Wanderschritt drauf hatte als wir. Kann ich mit leben. 

Bei Kilometer 32,5 kommt man dann das erste Mal am Ziel vorbei, dann geht es 5km etwas flacher bergan bis zu dem Punkt, an dem dann die ersten 160 auf den Gipfel abbiegen dürften. Mischung aus Laufen und Gehen bei uns und Pete, Holzi und Fabian geben an der Motivationsfront alles. Inzwischen bester Sonnenschein. Aber heute kommt kein Norseman auf den Gipfel. Dicht ist dicht. Das heißt aber nicht, dass die üblichen Regeln nicht trotzdem gelten. Und die sagen: Der Athlet muss einen Rucksack mit Regensachen, warmer Jacke, Handschuhen, Rescuebag, Verpflegung und Erste-Hilfe-Set tragen und ein Supporter genauso. Und die wollen das auch sehen bevor man weiter darf. Holzi war der auserkorene Supportrucksackträger und ich hab mir meinen umgeschnallt. 

Auf einem steilen Berg sicher kein Problem, aber jetzt geht es ja leicht bergab. Nerviges Gewackel am Rücken. Entscheidung: Anzug auf, Rucksack auf die nackte Haut, Anzug wieder zu. Sieht aus wie der Glöckner von Notre Dame, aber fühlt sich deutlich besser an. Die letzten 5 Kilometer und je näher es zum Ziel geht desto weniger Reserven lasse ich. Wozu auch. Der letzte Kilometer dann nochmal in 4min flach, Buckelpiste von Zielkanal und geschafft.

Im Ziel dann Grüße an die beste Frau von allen nach Hause, die überschaubare aber liebevolle Zielverpflegung nutzen und dann mit den Jungs in die Zielherberge. Am nächsten Tag T-Shirt Zeremonie und Auto- und Fährfahrt nach Hause. 

Gedanken ein paar Wochen danach:

– Ideale Supportcrew. Ich habe die nach Gefühl ausgesucht bzw. gefragt und das war top. Ich hab mich immer in guten Händen gewusst und drei haben einen riesigen Anteil, dass das so ein genialer Roadtrip geworden ist. Danke an Holzi, Fabian und Pete.

– Das Leben ist gut zu mir. Ich hab tolle Leute um mich rum, wache jeden morgen schmerzfrei auf und habe vom Alltagsallerlei abgesehen keine Sorgen. Muss man sich halt ab und zu mal klarmachen. 

– freakig vorbereiten = relaxed im Rennen. Wer mehr weiß, bleibt ruhiger, wenns mal nicht nach Plan läuft. Ist einfach so. Und eine Langdistanz wird nie komplett nach Plan laufen.

– Kienle ist wirklich so angenehm normal wie er in den Medien rüberkommt. Freundlicher, aufgeschlossener Mensch. Der wird dem Laden fehlen.

– Hype vs. Reality. Die Videos sind martialisch, härtester Triathlon der Welt usw. Kann sein, wenn man das all-out macht. Für Normalos, deren Ziel es ist, das anständig und gesund über die Bühne zu bringen (mich), ist es das nicht. Hart ja, aber sicher nicht so brutal wie es in den Berichten und Videos rüberkommt. Das liegt auch am nächsten Punkt.

– Die besondere Stimmung. Das ist nicht dieses gegen die Uhr racen und auf Platzierung gehen wie sonst. Man unterstützt die anderen Athleten, wird nicht nur vom eigenen Support angefeuert und sieht vieles einfach viel entspannter. Der Kurs ist schwer, der Regen nass und ob ich 31ter oder 131ter werde, interessiert eh keinen. Ich war übrigens 54ter bei den Männern und 64ter gesamt 🙂 in ziemlich glatt 13 Stunden.

– Die Weisheiten stimmen. Lebenskilometer sind durch nichts zu ersetzen und Kontinuität ist der Schlüssel. Die Vorbereitung war bisschen auf Hoffnung gebaut, dass das stimmt. Ich hatte nur zwei Tage mit mehr als 4h Training am Tag, dafür aber fast keine mit weniger als 2h. Ich mach den Kram seit 20 Jahren und ohne jede ernsthafte Verletzung oder Pause (mein eigentliches Talent glaube ich), da brauchste keine kompletten Ruhetage mehr 🙂

– wer die Möglichkeit hat: mitmachen. Es lohnt sich sehr.

– am 1.10. öffnet die Verlosung für 2024. Ich kauf eins.  

Paul

Bilder: Sportograf + privat

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